3D-Scannen einer mittelalterlichen Dachschindel
der Kirche in der Wüstung Baumkirchen, Hessen

Projekt der Arbeitsgruppe Visualisierung und Numerische Geometrie

Grabung in der Wüstung Baumkirchen
Grabung in der Wüstung Baumkirchen, Foto: © Christoph Röder

Aktuell

Drei Fragmente einer Dachschindel Digitale Interaktion

Hier geht es zur interaktiven Webseite zur Entdeckung der Schrift auf einer Schiefertafel mit einem mittelalterlichen Zinsregister.

Herkunft der Tafel und erste Lesungen

In der Gemeinde Laubach (Landkreis Gießen, Hessen) am Rande des Vogelsbergs gibt es eine hohe Dichte an im Mittelalter wüst gefallenen Ortschaften, einer dieser Orte ist die Wüstung Baumkirchen. Im Zuge einer Lehrgrabung wurde 2004 hier u.a. eine Kirche archäologisch untersucht. Neben den Grundmauern der Kirche und Hinweisen auf eine Wohn- und Wirtschaftsbebauung innerhalb des Kirchhofes fanden sich neben sonstigen zu erwartenden Funden auch sehr viele Dachschindeln aus Schiefer. Eine dieser Schiefertafeln diente ursprünglich als Beschreibstoff und wurde erst später zur Ausbesserung des Daches als Schindel zweitverwendet. Sie ist in drei Fragmente zerbrochen; ihre Vorder- und Rückseite sind beschriftet, die Befestigungslöcher der Schindel durchstoßen den Text. Die Vorderseite enthält 14 Zeilen Text, die Rückseite elf Zeilen. Lediglich die letzte Zeile konnte noch nicht vollends entziffert werden.

Ausschnitt mit Schriftzug Eckardus und gesamte Tafel
Ausschnitt mit Schriftzug Echardus (Rückseite) und Gesamtansicht mit drei Fragmenten (Vorderseite), Abbildung: © Steffen Bauer, Susanne Krömker

Ausgangssituation für die Entzifferung dieses mittellateinischen Textes waren das Original und die Fotografien der mit Kreide geschlämmten Schiefertafel, auf der sich Wörter lesen ließen, die gut zu erkennen waren oder immer wiederkehrten – so wie It(em) und manche Namen – z.B. Eckard(us) – sowie einige römische Zahlzeichen. Schließlich wurde nach dem Entfernen der Schlämmung ein hochauflösender 3D-Scan mit einem Streifenlichtscanner angefertigt, der alle drei Fragmente mit mehr als 300 Millionen Dreiecken erfasst hat. Die anschließende exakte Positionierung der Fragmente ließ den Text auch über die Bruchkanten hinweg deutlicher erkennen. Eine Analyse der Oberfläche mithilfe von Multiskalen Integralinvarianten (MSII) und dem Programm GigaMesh stellt die eingeritzten Buchstaben farblich klar gegenüber dem verrauschten Untergrund heraus. Virtuelle Beleuchtung unterstützt zudem die erkennbaren absichtlichen Ritzungen. Dabei kann in dem webbasierten Viewer 3DHOP interaktiv mit dem Objekt gearbeitet werden, die Daten stehen im Internet im Nexus-Format zur Verfügung und laden, trotz großer Datenmenge, innerhalb kürzester Zeit, so dass man sowohl am PC als auch auf mobilen Endgeräten mit diesem Scan online und flüssig arbeiten kann.

Die Betrachtung der einzelnen Buchstaben in beliebiger Vergrößerung an Großbildschirmen lässt Feinheiten ausgezogener Linien und spezifische Schriftmerkmale erkennen. Durch die Fülle an Text können wiederkehrende Ähnlichkeiten an verschiedenen Stellen festgestellt und damit unleserlich erscheinende Passagen gedeutet werden.
Es handelt sich um zwei Listen, die (z. T. jährliche) Zahlungen v. a. in Form von Getreide und Wachs dokumentieren. Das Verzeichnis der Einkünfte war mit einem sehr spitzen Schreibwerkzeug in die Tafel geritzt worden. Die Schrift, die sich unter einer Lupe anhand des Originals und durch die möglichen Vergrößerungen und Einstellungsmodi beim 3D-Scan sehr gut erkennen lässt, kann mit der Terminologie von Karin Schneider als „ältere gotische Kursive“ bestimmt und ins 14. Jh. datiert werden.

Eine erste systematische Untersuchung zu Schiefer als Beschreibstoff, zu Stand und Perspektiven seiner Erforschung liegt erst seit kurzem vor (Wozniak 2022). Ein vergleichbares Zeugnis ist bisher nicht bekannt. Die Tafel aus Baumkirchen ist aufgrund ihrer Textmenge und ihres Inhaltes einzigartig und damit schwierig in bestehende Schemata einzuordnen.

Die Verarbeitung der Daten mit den am IWR entwickelten Methoden (u.a. mit der GigaMesh-Software von Hubert Mara) ist Teil der laufenden Forschung.

10. Heidelberger Mittelaltertag, 01.07.2023

10. Mittelaltertag Heidelberg

Mitmachaktion an Schiefertafeln

An mehreren Tischen können Sie sich selbst daran versuchen, Ihren Namen oder einen Text in Schiefer zu ritzen.
Schiefertafeln, Werkzeuge und Vorlagen mit den Buchstaben einer Schreibschrift des XIV. Jahrhunderts werden zur Verfügung gestellt.

Vortrag

Original und digitale Repräsentation einer mittelalterlichen Dachschindel:
Wie wir heute die Schrift auf einem Zufallsfund lesen und interpretieren können

Kirsten Wallenwein, Christoph Röder, Susanne Krömker, Steffen Bauer, Marvin Hanf
14h15 und 16h30 | Neue Universität | Universitätsplatz | Hörsaal 01

Link zur Veranstaltung
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Grabung in der Wüstung Baumkirchen
Grabung in der Wüstung Baumkirchen, Foto: © Christoph Röder